Leseprobe: “Hochzeit – Eine Verdrängung”: Das Feuerzeug
Ich glaubte tatsächlich, dass heute ist ein sehr guter Gute-Laune-Tag. Eigentlich ein perfekter Tag für eine Hochzeit. Glück gehabt, dachte ich, und durchsuchte erneut meine Taschen nach einem Feuerzeug, Streichholz oder sonstigen Gerätschaften, die dem heiligen Zweck der Flamme dienen könnten. Vor zehntausend Jahren, dachte ich, war der entscheidende Zivilisationsschritt gewesen, mithilfe von Steinwerkzeugen Tiere zu erledigen und anschließend mit Steinen Feuer zu machen, um sie dort köstlich zu garen. Und heute? Noch immer hatte niemand ein Feuerzeugmesser erfunden. Evolutionstechnisch war ich damit nicht weiter, als meine Urahnen vor der grandiosen Idee, Steine Funken schlagen zu lassen. Und auch deren Fisch war wahrscheinlich vor diesem Heureka-Gedanken zäh gewesen.
„Feuer?“ sagte eine sanfte Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. Die rothaarige Bedienung streckte mir ein Feuerzeug entgegen. Sie war mir zwei, drei Mal aufgefallen, stand hinter dem Tresen, wusch Gläser, schenkte Softgetränke aus und mixte Cocktails. Ich hielt ihr meine Zigarette an den Lippen hin, sie rieb das Metallrad am Zündstein. Es ist ein eigentümlich deutscher Brauch, dass andere einem die Zigarette anzünden, das Feuerzeug dabei nicht aus der Hand geben. In Italien zum Beispiel reichte man das Feuerzeug dem Gegenüber. In Deutschland hielt man es fest, man gabnur Feuer. Vielleicht aus Misstrauen, bestimmt aus Misstrauen, aber sicherlich auch wegen der Macht, Wärme und Heimeligkeit herstellen zu können, quasi auf Knopfdruck. Ich hatte in meiner Lässigkeit wohl mein Feuerzeug weggegeben, meine Macht abgegeben, jemand anderes die Möglichkeit erteilt, Dinge entzünden zu können. Ich war wohl noch nicht deutsch genug, trotz all der Jahre, in denen ich wieder in Deutschland wohnte, dachte ich mir, während ich meine Zigarette in der Flamme zum Leuchten brachte.