Momentgenießer ohne Instagram
Es ist spät geworden. Unruhig blickt der Schichtleiter alle paar Minuten die verbleibenden sechs Gäste an, die noch immer nicht gehen wollen. Die Gläser hat er bereits zum zweiten Mal poliert, die Glasvitrinen abgestaubt, die Porzellantassen akkurat mit dem Henkel nach rechts ausgerichtet. Etwas Missmut schicken seine Augen hinterher, er will Feierabend machen, die restlichen drei Stunden Tageslicht draußen verbringen, in seiner Wohnung.
Bestellen will keiner der Kunden mehr etwas, gehen aber auch nicht. Es nieselt draußen, die Feuchtigkeit des Straßenpflasters lässt die vorbeifahrenden Autos lauter als sonst dröhnen. Melancholisch strömt die Musik aus den Lautsprechern, fügt sich zur Stimmung dieses dunkel werden Sonntagabends, das Licht der Lampen wird immer heller, immer freundlicher. Es ist eine Zweckgemeinschaft verlorener Seelen, gedämpft wabern die Gespräche über die Tische, vermischen sich, verschwimmen, ein Mix aus Sprachen, spanisch, italienisch.
Noch einen Kaffee bestellen? Noch ein Buch lesen? Noch etwas schreiben? Oder doch gehen? Gefangen in der Laune des Augenblicks, schweift der Blick durch das Café, vorbei an den lilafarbenden Wänden mit aufgemalten Blütenbäumen, den Plastikblumen in der Vase, Bilder einer Bonner Fotografin, die mit ihren Aufnahmen um Beachtung und zugleich Kunden sucht. Andere Momentgenießer sind vertieft in mitgebrachten Büchern. Noch so viel zu tun, und doch reicht die Zeit nicht mehr aus, es zu Ende zu bringen.
Soll man dann überhaupt neu beginnen, oder doch lieber in dem Augenblick verhaftet bleiben, der sich zeitlos in das eigene Gedächtnis schreibt, ganz ohne Zutun? Dessen Existenz die eigene prägen wird, dessen Erlebnis zum Selbstzweck wird, ganz ein Bild davon zu machen, es gefiltert mit Instagram bei Facebook einzustellen, nur um damit anderen zu beweisen, dass man selbst diesen Moment, den sie höchstens ansatzweise verstehen können, erlebt hat? Oder gar darüber zu schreiben, aus dem Moment-Erleben eine Geschichte zu machen, und der Welt dies mitzuteilen? Keine Chance. Der Wimpernschlag der Existenz, der sich im Gedächtnis einbrennen will und wird, bleibt ein eigenes, ganz privates Gut, dass zu verstehen nur vermag, wer es selbst erlebte. Alle Abbilderungsversuche werden nur zu billigem Abklatsch, verkommen zu Postkartenromantik.
Wer es nie erlebt, nie gefühlt hat, vergeht in einer gefühllosen Bewunderung. Wer es nie erlebt hat, sollte es versuchen: Bei Regen im Café zu sitzen, die gedämpfte Stimmung genießen und darauf zu warten, weitermachen zu müssen.
Nur deshalb drücke ich auf publizieren.