Reise in die Wildnis – P1

9. Mai

Die Expedition stand unter keinem guten Vorzeichen. Düster grollte der Himmel, seine wolkige Haut durch riesige, dunkle Furchen verzogen. Ich stand am Ufer des schmalen Bächleins, dessen Wasser Regentropfen und Blätter rasch Richtung Westen davontrugen. Kalt war es, eisig kalt, Wasser und die Luft, die mich umgab.

Es war meines Onkels Idee gewesen, mich, einen kränklichen Jüngling mit wenig Lebenseifer, auf diese Erkundungsfahrt zu schicken. Ich zog gewiss ein Dasein als Stadtbewohner vor, mit seinem verzaubernden nächtlichen Lichtermeer und dem pulsierenden Leben, den Menschenmassen, die wie rote Blutplättchen durch die Straßen geschoben wurden. Ich war ein Bohemién, die dreißig noch nicht erreicht, genoss meine Existenz an sich. Oft saß ich stundenlang in Cafés, beobachtete die treibenden Menschen redete danach in schummrigen Lokalen bis in die späten Nachtstunden mit Gleichgesinnten über die Beobachtungen bei einem Glas guten Rotwein, welches sich allzu oft zu weiteren gesellte. Das bedeutete Leben, beobachten, erkennen existieren, dachte ich, nicht stumpfes dahinvegetieren. Und ich war zufrieden damit.

Stattdessen hatte mein Onkel entschieden, es wäre Zeit, die „Rumhurerei“ zu lassen und ein echter Mann zu werden. „Werd endlich erwachsen – und tu etwas“, fluchte er mich oft an, und bemängelte meinen Drang, die Dinge zu tun, die er für wichtig hielt. Sich einen Namen, eine Familie, eine Existenz schaffen. Narr, dachte ich, meinte er tatsächlich, Ruf und Nachkommen seien Grundlage eines vernünftigen Daseins.

Dummerweise war er für das Wenige, was ich benötigte, um angenehm existieren zu können, der Lieferant. Er, der reiche Fabrikant und geheime Stadtrat, versorgte mich mit dem nötigen Kleingeld, immer in der Hoffnung, dass ich sein Nachfolger hätte werden können. Zwei Frauen hatte er verschlissen, sechs Töchter bekommen. Alle seine Hoffnungen hatten auf mir geruht, doch mit den Jahren hielt er mich immer ungeeigneter, um in seine erfahrenen und viel zu großen Fußsstapfen zu treten. „Aus dir wird so nie ein richtiger Mann“, meinte er oft zu wissen, „wenn du nicht bald anfängst, dich auch wie einer zu verhalten.“

Jetzt stand ich hier am Ufer des Flusses, am Anfang einer Reise, weil ich das Spiel verloren hatte. Innerlich ärgerte ich mich weiter über die Niederlage, glaubend, dass er dabei betrogen hatte. Mit den Füßen scharrte ich über den geschotterten Boden. Ich hasste Wasser, ich hasste Wildnis, und am meisten hasste ich eine Reise auf dem Wasser in die Wildnis.

Ein Bekannter meines Onkels war ein sogenannter Erforscher. In Wahrheit war er ein Sklavenhändler, nicht nur war er durch die Sklaverei zu Geld gekommen, sondern trieb auch immer wieder unmenschlich Expeditionen voran, um, wie er sagte, im Dienste der Wissenschaft weiße Flecken von der Landkarte zu tilgen. Er behauptete, die letzten weißen Flecken zu nichten.

In Wahrheit suchte er nur nach Einnahmequellen jedweder Art. Die weißen Flecken wurden kartographiert, anschließend ausgebeutet, wie ich mit Abscheu dachte. Er nahm sich die Rohstoffe, egal ob Kautschuk, Smaragde, Gold oder Eingeborene. Hauptsache, der Rubel rollte. Und bei einer solchen Expedition sollte ich nun als Teilnehmer mitgetrieben werden, mit ihr sollten mir „die Flausen ausgetrieben werden“, wie mein Onkel sagte.

Und so stand ich am Ufer dieses Flusses. 17 Tage hatte die Reise dorthin gedauert, mit Pferdekutschen und Schiffen, mehrfach hatte ich mich dabei übergeben, hing kotzend über der reling. Die Reise stand unter einem schlechten Stern, wusste ich sofort. Schon die Abfahrt hatte sich um einen Tag und hunderte Meilen verschoben. Das Gepäck war bereits entladen, die Sonne stand am Himmel, die Expedition rüstete sich aus, lachte, trank, die Stimmung war gelöst, doch vom ortskundigen Führer fehlte jedwede Spur.

Dann kam die Nachricht, die mir sofort jeden Appetit verdarb und mir klar machte, dass diese Expedition furchtbar enden könnte, mir jede Hoffnung raubte, dass es glücklich für mich ausgehen könnte. Es hatte nämlich einen Überfall gegeben, ein eingeborener König lag sich mit der örtlichen königlichen Verwaltung im Clinch, seine Stammeskrieger waren auf dem Weg zu unserem Startpunkt. Das erzählte atemlos der ankommende Bote, ein loyaler Mekukke.

Flugs rafften wir unser Gepäck wieder zusammen, eilten zu den Transportern und Kutschen. Es war knapp gewesen, dachte ich mir und machte damals drei Kreuze, auch wenn ich die Existenz eines Gottes doch arg bezweifelte. Doch in solchen Situationen schlägt die Erziehung einfach durch.

Bereits auf der Reise zu unserem neuen Startpunkt, den der Mekukke uns zeigte, war von dem „großen Regen“. Wir waren am Ende der Regenzeit, ununterbrochen hatte es die letzten Monate hier geschüttet. Doch noch hatten ungewöhnlicherweise die langen Sonnenmonate noch nicht begonnen.

Und so stand ich nun, vollkommen durchnässt und vom Schleppen der tonnenschweren Ausrüstung und Verpflegung leidlich erschöpft, am Ufer dieses vermaledeiten Flusses und starrte in die verhassten Fluten, vollkommen durchnässt vom verfluchten Regen. Ich fror jämmerlich und hasste meinen Onkel, seinen Sklaven verkaufenden Bekannten und alles, was mit dieser Expedition zu tun hatte.

Hätte ich mir nur rechtzeitig eine Arbeit in der örtlichen Bücherstube gesucht.

Der neue Führer, ebenfalls vom Volk der Mekukke, gab eine Einführung über die Gefahren und Bedingungen der Reise. Ordentlich hatte er die Hand aufgehalten, um den reibungslosen Beginn der Expedition zu ermöglichen. Ich hörte nicht zu, weil mich seine Worte schon innerhalb einer Minute zugleich ängstigten und langweilten, und ich nicht gerne die Kontrolle über meine Gefühle verlor.

Wenig später bestiegen wir die breiten Kanus, der Regen zog wie ein Schleier über das Land, sodass man kaum über die Ufer und nur wenig mehr als 160 Fuß in die Ferne blicken konnte. Dick mummelte ich mich in mein Ölzeug ein. Der erste Schritt auf die wackeligen Plattformen fiel mir schwer. Sie schienen wenig vertrauenserweckend und eher billig zusammen gezimmert worden zu sein. Schon nach wenigen Minuten sammelte sich das Wasser auf dem Boden. Je fünf Mann passten in die schmalen, feuchten Boote, das Gepäck unter die Sitzbretter geschoben. Ganz hinten am Heck, nur auf dem nackten, verdreckte Fuße stehend, steuerte ein älterer Mekukke unser Gefährt. Bei jedem Lächeln bleckte er sein fast zahnloses Gebiss, und er lächelte genauso oft wie sein Lachen kalt war.

Fünfhundert Karupen, die lokale Währung der Eingeborenen, aus Knochen geschnitzte Dreiecke, bekam er für die Reise, die uns an die Mündung des Flusses im Landesinneren bringen sollte. […]